Es gibt Orte, die einen sofort in eine andere Welt mitnehmen. Die Fachwerkstatt für Restaurierung der Glaserei Eberle ist so ein Ort. Wie eine Geheimkammer liegt sie hinter den anderen Werkstatträumen. Sind hier Magier am Werk? An die Wände sind Regale mit Farbmustern gelehnt, in einem Vitrinenschrank lagern Gefäße mit pulverisierten Pigmenten. Alle sind mit einem Totenkopf markiert, weil sie ungebrannt sehr giftig sind. Andere zudem sehr teuer wie Farben mit echtem Silber- und Goldoxid. Einige der Farben werden schon längst nicht mehr hergestellt, weil es keine Rezepturen dafür gibt.
Auf dem beleuchteten Tisch liegen Bruchstücke von Fenstergläsern der Pfarrkirche St. Wolfgang in Lengenwang. Diese waren frisch restauriert und gerade wieder eingesetzt, doch ein Hagelschauer zerstörte in Sekundenschnelle die aufwendige Arbeit von Tobias Eberle und den Glas- und Porzellanmalerinnen Gefion Hanke und Helena Schmid. Ein Nischenberuf, es gibt nur noch wenige, die das kunstvolle Handwerk beherrschen. Ein Schnörkel, ein Puttenköpfchen, ein halber Name – alles beginnt von vorne: Schaden analysieren, Teile akribisch reinigen, Fehlendes originalgetreu anfertigen und in historischem Stil veredeln. Dabei werden neben dem Bemalen verschiedenste Techniken wie Gravieren, Ätzen oder Sandstrahlen eingesetzt.
All das gehörte in diesem Haus schon immer zusammen. Die Glaserei gibt es seit ungefähr 250 Jahren. Tobias Eberles Vorfahren waren alle Glaser, auch Kirchenmaler und Bildhauer gehörten zur Verwandtschaft. Als Kind ging er in der Werkstatt ein und aus und malte mit fünf schon auf Glas anstatt auf Papier. Als Jugendlicher entschied er sich, der Spur seiner Ahnen zu folgen. Er machte eine Glaserlehre und sattelte die Ausbildung zum Glas- und Porzellanmaler sowie die Meisterschule obendrauf. Seither sammelt er Erfahrungen auf der ganzen Welt.
Glas begeistert mich immer aufs Neue. Es gibt kein anderes künstlich hergestelltes Material, mit dem man so viel machen kann.
Seit über zwanzig Jahren leitet der Pfrontner den Betrieb mit acht Mitarbeitern. Fünfzig Prozent der Aufträge kommen aus der Denkmalpflege. Glas Eberle ist als einer der wenigen Glasereien in Deutschland auch auf Restaurierung spezialisiert. Kirchen, historische Profanbauten und weltbekannte Bauwerke wie Schloss Neuschwanstein brauchen sein Fachwissen und handwerkliches Geschick. Hier ist er sozusagen der Haus- und Hofverglaser. Nach der Sanierung der Außenfassade werden seit 2017 auch die Innenräume vollumfänglich restauriert.
Eine der aufwendigsten und mit zwanzig Millionen Euro auch eine der kostenintensivsten Restaurierungsmaßnahmen der Bayerischen Schlösserverwaltung. Über sechshundert Fenster zieren das Märchenschloss von Ludwig II. „Er wollte viel Licht in die Prunksäle bringen, damit die Wandmalereien zur Geltung kommen, deshalb hat er transparente, mundgeblasene und zum Teil handpolierte Bleigläser einbauen lassen. Die waren enorm aufwendig in der Herstellung.“ Da das Schloss exponiert auf einem Felsen thront, brechen bei Unwetter immer wieder Fensterscheiben. Die repariert Eberle und fertigt auch „Modernes“ wie Digitaldruck auf Glas für die Besucherlenkung im Schloss. Schon mit seinem Vater kam er zum Arbeiten hier hoch und hat so Räume gesehen, die Besuchern verborgen bleiben.
Sirius Eberle, ein Verwandter aus München, entwarf und baute sogar die Prunkkutsche von Ludwig II. Sie gilt als erstes elektrisch beleuchtetes Fahrzeug der Welt. Als der Monarch bei seinen nächtlichen Streifzügen durch die Ostallgäuer Landschaft fuhr, dachten viele Einheimische, er könne zaubern und nannten ihn fortan Märchenkönig. „Ich bin kein Ludwig-Fetischist, aber mich beeindruckt seine Schaffenskraft und wie er über seine Bauwerke Geschichte geprägt hat. Die Region hat ihm viel zu verdanken. Außerdem freue ich mich, dass ihm niemand mehr diesen Bauplatz mit der Wahnsinnsaussicht nehmen kann.“
Keine Farbe, und trotzdem sehr kostbar.
Bei einer Führung mal ganz bewusst die historischen Fenster betrachten.
Die Fenster in der Pfarrkirche sind restauriert und wieder eingebaut. Zu bewundern in der Seeger Straße 1 in Lengenwang.
Die Vereinten Nationen haben 2022 zum Internationalen Jahr des Glases ernannt. Vom Computerchip bis zum Weltraumteleskop – Glas ist echt überall drin.
Was es alles in der Heimat zu erleben gibt? Hier gibt ́s Kultur pur im Ostallgäu: www.schlosspark.de/kultur