Wale, frei lebende Eisbären und Bisonherden-Staus: Ole Helmhausen lebt in Montreal und kennt alle Provinzen seiner Heimat. Hier erzählt er, wo Sie die Big Five Kanadas hautnah erleben können
Kanada wird „Wildlife Capital of the World“ genannt, und das nicht nur, weil der tierreiche Great Bear Rainforest am Pazifik gern mit der afrikanischen Serengeti verglichen wird. Unterwegs in Kanada sind Wildtiersichtungen einfach sehr wahrscheinlich – nicht alleine in den über 40 Nationalparks, zahllosen Provinzparks und kommunalen Schutzgebieten des Landes, sondern auch in freier Wildbahn. Natürlich sollte man immer rücksichtsvoll und vorsichtig sein, den Tieren ihren Raum lassen, Abstand halten, die eigene und die Sicherheit der Tiere im Blick haben. Verhaltensregeln dazu gibt es viele – man findet sie in Reiseführern und im Internet. Bei geführten Wildbeobachtungstouren bekommt man das nötige Hintergrundwissen am besten vermittelt und erlebt auch am meisten.
Im Norden des amerikanischen Kontinents geht’s allerdings oft auch verblüffend einfach mit der Tiersichtung: Meine ersten Wildtiere sah ich, wie wohl die meisten Kanada-Reisenden, vom Auto aus: Die ersten Schwarzbären auf dem Bow Valley Parkway im Banff National Park, auf dem Gelände der Jasper Park Lodge den ersten Koyoten, im Algonquin Provincial Park meinen ersten Elch. Sie liefen mir buchstäblich über den Weg, zufällig, für ein paar Sekunden. Das reichte, um meine Faszination zu wecken!
Sichtungsgarantien gibt es natürlich nie, aber vielerorts ist man in Kanada näher dran als anderswo. In Ontario ist das Frühjahr die beste Zeit für Elche. Dann flanieren dort die riesigen Könige der Wälder am Straßenrand, angezogen vom Schneeräumungssalz des Winters. Und nachts heulen dort Wölfe.
Auch in den RockyMountainParks Banff, Jasper, Yoho und Kootenay und überall im Norden verbessern sich die Chancen auf eine Sichtung, wenn man es schon im Morgengrauen auf die leeren Straßen schafft oder das Abendessen nach hinten verlegt. WapitiHirsche sind dann unterwegs, Dickhornschafe, Wölfe, Koyoten. Schwarzbären gibt es in jedem dieser Parks, doch relativ zuverlässig zu sehen sind sie im angrenzenden Kananaskis Country und im Waterton Lakes National Park an der Grenze zu den USA. Das weitläufige Bisongehege dort lohnt sich, aber noch beeindruckender sind diese urweltlichen Tiere in freier Wildbahn im Norden. Am Mackenzie Highway in den NordwestTerritorien (NWT) gehören durchziehende Bisonherden zum Straßenbild, auf dem Alaska Highway in NordBC und Yukon verursachen sie mitunter Verkehrstaus. Und hin und wieder verirrt sich einer auf einen Campingplatz: In Liard Hot Springs musste ich einmal eine Stunde lang in respektvollem Abstand warten, um in mein Wohnmobil zu dürfen, weil ein junger Bulle unter meinem Vorzelt „meditierte“.
Auch Grizzlybären sind viel unterwegs. Am entspanntesten habe ich die großen Bären im Great Bear Rainforest, der nur per Wasserflugzeug und Motorboot erreichbar ist, beobachten können. Und natürlich vom Auto aus, etwa auf dem Dempster Highway in Yukon und den NWT, im Bella Coola Valley am Pazifik und in den Rocky-Mountain-Parks. Ich erinnere mich an jedes einzelne Mal. Die Präsenz dieser einzigartigen Tiere, von denen allein 15.000 in BC leben, war stets so intensiv, dass sie alle Energie aus dem Raum zu saugen schien.
Gänsehautmomente. Da denke ich natürlich auch an Eisbären. 17.000 der gut 25.000 Eisbären weltweit leben in Kanada. In Churchill, Manitoba, sind die weißen Riesen am leichtesten zu beobachten. Vor allem im Spätsommer, wenn sie auf den Beginn der Seehundjagd auf der zugefrorenen Hudson Bay warten.
Einmal saßen wir beim Abendessen in einer eisbärensicheren Wildnislodge nördlich von Churchill, als plötzlich jemand „Polar Bear“ rief. Unten am Fluss besichtigte ein junger Eisbär das Schlauchboot, mit dem wir tagsüber die Belugawale in der Bay besucht hatten. Das Boot hatte einen Festrumpf und trug eine Beobachtungsplattform. Wir hatten es zu acht nur mit Müh und Not an Land gezogen. Der Eisbär versetzte ihm einen spielerischen Klaps und trottete davon. Danach stand das Boot quer.
Vom Pazifik bis hinüber zum Atlantik hat Kanada viel Platz für seine über 200 Säugetierarten: In Saskatchewan wetzt die Gabelhorn-Antilope, das zweitschnellste Landsäugetier der Welt, mit 70 Stundenkilometern durch das schier endlose Grasland. Fast überall bauen Biber-Dämme, leben Luchse und Weißwedelhirsche, warnen Schilder vor kreuzenden Elchen und ziehen Karibus durch die subarktische Wildnis.
Auch über 30 Walarten schwimmen vor den Küsten: In Quebec ziehen im Sommer Buckelwale und elf weitere Vertreter der Walfamilie den St.-Lorenz-Strom hinauf bis zu den Krillgründen vor Tadoussac. Die Bay of Fundy ist ebenfalls ein wichtiger Walgrund, und Newfoundland & Labrador scheinen die sanften Riesen ganz besonders zu mögen: Hier werden jedes Jahr 20 Arten gezählt, allen voran Buckel-, Finn- und Zwergwale, genau wie Orcas und Weißseitendelfine. Meine letzte Beobachtung dort war besonders spektakulär: In der kabbeligen See vor Quirpon Island sah ich einen Buckelwal, der mit weit aufgerissenem Maul senkrecht im Wasser stand und sich vom hohen Wellengang wie auf einer Massagebank auf- und abtragen ließ. Selbst für diesen wellenbadenden Wal mussten wir nicht weit gehen. Er schwamm uns fast über den Weg.